Mittwoch, 30. Oktober 2013

Nairobi

Am 13. September verließ ich Eldoret nach drei Wochen das erste Mal wieder alleine, um Emma in Nairobi zu besuchen und mich auch mit anderen Volontären zu treffen. Irene war unter jenen, eine Klassenkameradin, die es auch nach Kenya verschlagen hat, um hier ein Volontariat zu machen.

Die Fahrt war wunderschön, es gibt hier keine Lärmschutzwände und so hat man einen antemberaubenden Blick über die unheimlich schöne Landschaft Kenias. Das führte dazu, dass ich kurz nach der Stadt Nakuru aus dem Fenster schaute und neben mir Zebras und Gazellen ihren Tag genießen sah, als wäre es das Natürlichste auf diesem Planeten. Das war einer dieser Momente, in dem mir schlagartig bewusst wurde, dass ich in Kenia bin.

Diese Momente kamen immer wieder, am überwältigsten war diese Erkenntnis zwei Wochen, nachdem ich in Eldoret angekommen war. Es hatte - wie jeden Nachmittag zu dieser Zeit - sehr kurz aber sehr heftig geregnet und ich stakste auf dem Weg zum Office zwischen Schlammlöchern herum, auf der Suche nach den vor Matschpfützen rettenden Steinen. Während ich so immer wieder in nasser Erde versank, fragte ich mich, was wohl zuhause gerade passiert. Und da wurde mir schlagartig bewusst, dass ich hier knöcheltief in KENIANISCHEM Schlamm steckte, und dass ich ja nie wieder in meiner alten Schule die Schulbank drücken würde, dass ich meilenweit von daheim entfernt war und dass hier nun mein Leben für ein Jahr stattfinden sollte. Das war ein unglaubliches, ein sehr schönes Gefühl, das mich meinen Fuß mit einem schmatzenden Geräusch und einem Lächeln auf den Lippen aus dem Dreck ziehen ließ.

Nach sechs Stunden Fahrt erreichte ich Nairobi, und war erst mal unheimlich froh, hohe Gebäude und gute Straßen zu sehen. Die Stadt kam mir jetzt nicht mehr verwirrend und beängstigend, sondern geordnet, strukturiert und sehr europäisch vor. Kurzum, ich genoss die Stadt, als die ich Nairobi nun sah, nachdem ich ein Weilchen in Eldoret verbracht hatte.

Ich kam also an, traf Emma in der Stadt und wir gingen essen. Es gab viel zu erzählen, der Austausch über die Gastfamilien und die Projekte, die Erlebnisse und Erfahrungen, die wir bis zu jenem Zeitpunkt schon gemacht hatten. Später nahm sie mich dann mit zu sich nachhause, und schon, als ich die Wohnung ihrer Gastfamilie betrat, fühlte ich mich wohler dort als bei mir. Ihre Gasteltern sind noch sehr jung und unheimlich freundlich und herzlich. Leider war ich schon wieder (oder noch immer) von dieser endlosen Müdigkeit und Erschöpfung geplagt und musste mich bald zu Bette begeben.
Der nächste Tag war sehr schön, zuerst gingen wir auf den großen Markt in Buruburu, einem Stadtteil Nairobis, wo ich einen Rock erstand, den ich sehr häufig und gerne trage. Dann ging's ins Stadtzentrum, wo wir am Maasai Market viele der anderen Volontäre trafen.

Auf diesem Markt kann man eben diese typischen Dinge erstehen, die jeder von Afrika mit nachhause bringt. Was man jedoch beherrschen muss, ist handeln. Die Verkäufer nutzen die häufige Unwissenheit der Touristen schamlos aus und verlangen selbst für europäische Verhältnisse teure Preise. Selber muss man da natürlich lächerlich niedrig zu bieten beginnen, ums sich irgendwo in der Mitte treffen zu können. Das heißt, man selber beginnt bei 50Bob (Kenyan Shilling) und der Verkäufer bei 3000. Im Endeffekt einigt man sich dann auf 200Bob, etwas mehr oder weniger, je nach Geschick.

Nach dem Maasai Market quartierten wir uns im Jaffers Hotel ein. Lukas hatte Geburtstag, so war gemeinsames Feiern im Hotel und anschließendes Fortgehen geplant. Das Zusammensitzen in unserem Zimmer war echt nett, zum Fortgehen danach war ich allerdings zu müde.

Tags darauf traf ich mich mit Irene in einem netten Park, und nach einem unkenianischen Mittagessen (Gemüsecurry) ging es wieder ab nach Eldoret.
Ich freute mich schon auf meine Kinder und Kollegen.


Montag, 28. Oktober 2013

Ab ins kalte Wasser

Nach dem Ausflug nach Kitale begann ich am 2. September mit dem Unterrichten. Meine Bitte, den Unterricht eine Woche, oder auch nur einen Tag, zu begeleiten, wurde geflissentlich überhört und ich wurde (wie es ja fast jeder Volontär erzählt) vor meine Klasse geschoben. Da waren natürlich erst einmal nur Fragezeichen, die um meinen Kopf schwirrten. Keiner hatte mir irgendeine Instruktion gegeben, und nun sollte ich machen, wofür man in Österreich drei Jahre studiert.
Ich kann mich leider nicht mehr so genau erinnern, was ich in dieser ersten Woche mit den Kindern gemacht habe, das Lehrbuch war damals mein Wegweiser, und ich sah nach und nach den Wissensstand meiner Kinder. Das brachte mich leicht zur Verzweiflung, da diese Kinder keinen vollständigen englischen Satz formulieren konnten.
Ich war sehr unsicher und hatte keine Ahnung, ob ich das, was ich hier mache, auch richtig so mache, ob ich diesen Kindern helfe, ob sie in meinem Unterricht vielleicht sogar etwas verlernen, ob es nicht besser wäre, sie jemand anderem zu geben. Ich sah plötzlich eine große Verantwortung auf mich zukommen, mit der ich nicht so gut umgehen konnte.
So begann ich damit, ein paar Grundlagen in Struktur und Ordnung zu bringen. Das Erfreuliche war, dass ich oft bemerkte, dass die Kinder sich auch merkten, was ich mit ihnen im Unterricht durchnahm. Ich wollte natürlich nicht unbeliebt sein und war zu Anfang viel zu nett und locker im Unterricht.
Es war schwierig, ich war aber auch heiß auf die Herausforderung und bemerkte immer wieder, dass es nicht so verkehrt sein kann, was ich hier treibe.

Das ist jetzt die Zusammenfassung, wie ich nach elf Wochen über meinen Start hier denke. Ich habe meine Arbeit von Beginn an als "erfüllend" beschrieben, und geliebt habe ich es auch sofort. Es hat mich mit sehr viel Zufriedenheit erfüllt und ich bin jeden Tag mit einem guten Gefühl nachhause gegangen. Die Resonanz der Kinder war überwältigend und ich war überrascht, wie schnell ich hier angenommen und wie herzlich ich willkomen geheißen wurde. Das hat mir sehr geholfen, mich hier sofort wohl zu fühlen.
Die damalige Euphorie kann ich leider nicht mehr in Worte verpacken, da ich jetzt weiß, wie viel besser es gehen kann.
Aus diesem Grund möchte ich hier einen Auszug aus einer E-Mail zitieren, die ich damals gesendet habe:


"Am Anfang war ich überfordert, es ist schwer, Struktur in den Unterricht zu bringen, und ich war ein bisschen erschrocken über den Wissensstand der Kinder. Nachdem aber schon Verbesserungen zu sehen sind, bin ich guten Mutes. Die meisten Kinder haben außerdem den Willen zu lernen, ich mach am Nachmittag extra-lessons in Mathematik, wenn die Kinder nicht zu müde sind. Und dann setz ich mich zu den Kleinen und verbring die Zeit mit ihnen. Sie sind so wahnsinnig lieb! Da sind Winnie und Shadi und Faith, da ist Evans, und Anthony, und Brian, und Mjumbe. Winnie ist 7 Jahre alt und kommt auf mich zuglaufen, sobald sie mich sieht, drückt sich an mich und lässt mich gar nicht mehr los. Faith kommt ein, zwei Mal am Tag auf meinen Schoß und holt sich ihre Kuscheleinheit. Evans ist ein vorlauter junger Herr, der im Endeffekt auch nur nach Zuneigung sucht, und immer zusammenzuckt, wenn man die Hand zu schnell hebt. Brian lacht nie, er ist erst seit Kurzem hier und behält Informationen über seine Herkunft für sich. Die Social Workers haben grade alle Hände voll damit zu tun, irgendwas aus ihm rauszukitzeln. Mjumbe ist 15 Jahre alt und wird ab Jänner in die Schule gehen. Er kann unheimlich gut zeichnen und wird nicht gerne berührt. Er hält allerdings sehr gerne meine Hand. Und dann sind da noch 150 andere Kinder, die ich kennenlernen darf!

Ich bin so glücklich, wenn ich mit ihnen zusammen bin. Diese Arbeit erfüllt mich. Und jeden Tag überkommt mich diese Überwältigung von Neuem.

Es gibt immer mehr Tage, an denen ich wirklich glücklich bin hier. Meistens vor allem, bevor ich nachhause komme. Meine Geschwister hier sind 6 und 2 und nach einem ganzen Tag mit Kindern irrsinnig ermüdend, vor allem der Kleine."

Schon nach ein paar Tagen fand ich meine Wohnsituation beklemmend. Ich schlief zu dritt mit meiner Gastschwester und dem Hausmädchen in einem Stockbett, in einem Zimmer, das vielleicht 8m² groß war. Meine Koffer auszupacken war undenkbar und ich hatte nie dieses Gefühl, richtig anzukommen. Wenn ich nach acht bis zehn Stunden Arbeit nachhause kam, hatte ich da diesen kleinen Jungen, der unablässig schrie und permanent in seine Hosen machte. Und es kostete mich jedes Mal eine enorme Überwindung, diese Hosen zu wechseln, vor allem, wenn er sein großes Geschäft verrichtet hatte.
So war ich niemals alleine und hatte keinen Platz, um mal abzuschalten und zu entspannen.

Meine Stimmung änderte sich rapide, war ich da noch himmelhoch jauchzend konnte ich in der nächsten Minute zu Tode betrübt sein. Es war sehr anstrengend. Und doch stelle ich fest, dass in diesen Moment doch noch sehr viel positiver über meine Situation geschrieben habe, als ich jetzt darüber denke. Ich hatte mich sehr erfolgreich selber davon überzeugt, dass alles sehr gut war. Mein Projekt war ja auch, und ist noch immer, der Wahnsinn. Ich fing an, jede mögliche Sekunde dort zu sein.
Mein Zuhause war kein Ort für mich, zur Ruhe zu kommen, mein Gastbruder saugte die letzte Energie des Tages aus mir und mein Gastvater war mir nicht ganz geheuer.
An Aufgeben war da aber noch nicht zu denken, Das war halt eine dieser Herausforderungen, die zu meistern sind, sagte ich mir. Und ich war nicht unglücklich. Ich hatte oft sehr glückliche Momente. Ich war viel zu sehr in dieser Situation, als noch einen klaren Blick darauf zu haben.

Als ich nach drei Wochen in Eldoret sehr müde, sehr angestrengt, nicht ganz gesund und total angespannt nach Nairobi fuhr, um Emma zu besuchen, hatte ich das erste mal die Möglichkeit, einen Schritt zurückzutreten und das Bild aus etwas mehr Entfernung zu betrachten.

Freitag, 25. Oktober 2013

Erster Ausflug - Kitale

Nach meiner ersten Arbeitswoche - die programmmäßig nicht sehr ausgefüllt war, da die Kinder noch Ferien hatten - unternahm ich meinen ertsten Auslflug hier in Kenia. Meine Gastmutter fuhr Freitagnachmittag nach Kisii, um dort ihre Schwester zu besuchen, und ich war mit meinem Gastvater alleine, da der Rest der Familie ja noch in Kitale bei den Großeltern war. So ganz wohl fühlte ich mich dabei nicht.
Samstagmorgen machten wir und zu zweit auf den Weg nach Kitale. Es war eine zweistündige Autofahrt, die voll sehr eigenartiger Gespräche war, die mich einerseits extrem ungeduldig machten, andererseits ein etwas mulmiges Gefühl verspüren ließen.
An Kitale-Stadt vorbei führte uns die Reise noch eine Stunde auf Feldwegen inmitten riesiger Maisplantagen. Die Straße, die uns dann zum Zuhause meiner Gastgroßeltern führte, erkannte ich nicht als solche, bis wir darauf fuhren.
Kitale ist sehr schön, die Erde ist rot und alles ist voll mit Maisfeldern. Kitale und Eldoret sollen gemeinsam die Nation mit Mais versorgen. Nach dem, was ich gesehen hab, glaube ich das auch.

Die Eltern meines Gastvaters leben in einer Lehmhütte ohne Elektrizität und fließendem Wasser. Es herrschte dort eine extrem friedliche Atmosphäre und ich genoss den unverpesteten Duft von Städten abgelegener Orte. Trotz des mangelnden Stroms besaßen die Erwachsenen zu meinem Erstaunen doch jeder ein Handy.
Das Abendessen wurde direkt neben mir mit einem gezielten Schlag zur Strecke gebracht. Ich hatte mich davor schon entschlossen, dieses Jahr als Vegetarier zu verbringen, und war dann ganz froh, keinen Schafskopf essen zu müssen. Ich bin zwar grundsätzlich nicht sehr heikel, aber der Anblick dieser Suppe aus ALLEM, das man an Schaf nur verwerten kann, war dann doch nicht so appetitanregend.

Die Nachbarskinder, die alle um das Haus meiner Gastgroßeltern versammelt waren, hatten zuerst Angst vor mir, dann scharten sie sich fasziniert um mich. Als ich dann meine Kamera herausholte, war das Eis endgültig gebrochen.
So wurde ich zuerst im Dorf herumgezeigt, dann dem Chief Resident vorgestellt, langweilte mich bei einem Gespräch auf Kiswahili, aber ich glaube, es hätte mich auch nicht sehr interessiert, hätte ich ein Wort verstanden, und war schließlich noch die Attraktion auf dem Markt.
So ein Mzungu (Weißer) ist schon etwas Feines.

Den Heimweg traten wir dann zu fünft mit Kochbananen, Mais und Huhn an, das seine Notdurft des öfteren verrichten musste und der Autofahrt ein nettes Aroma beifügte.
Daheim angekommen hatte ich nun das erste Mal ein Bild davon, was es heißt, zu sechst auf 45m² zu leben.
Da dachte ich noch, ich würde mich daran gewöhnen.

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Müdigkeit

Am letzten Abend in Nairobi lernten wir unsere Gasteltern kennen. Bei mir waren Dickson, mein Gastvater und June, meine zukünftige Chefin gekommen. Dickson machte einen etwas ulkigen Eindruck mit seinem braunen Cordanzug und der Schiebermütze. Er begrüßte mich mit den Worten "Hello, my daughter!", was ein klein wenig Widerstand in mir auslöste. Dieses Gefühl wischte ich jedoch sofort energisch beiseite, er versuchte doch nur, nett zu sein und mir das Gefühl zu geben, mich jetzt schon als Familienmitglied anzusehen. Mit June verstand ich mich auf Anhieb gut, was mich enorm erleichterte, da ich auf ein gutes Arbeitsverhältnis hoffen konnte. Der letzte Abend mit den anderen Volontären war sehr nett.
Die sechsstündige Autofahrt nach Eldoret verbrachte ich hauptsächlich schlafend, eine leichte Angeschlagenheit hatte sich schon während der letzten Tage im Camp bemerkbar gemacht, und nun übermannte mich erneut die bleierne Müdigkeit, die mich auch am Tag meiner Ankunft in Nairobi fest im Griff hatte. Ich denke, es war hauptsächlich die ständige Veränderung. So war ich froh, endlich mein wirkliches Ziel zu erreichen, um dort etwas Energie schöpfen zu können.
Ich weiß nicht mehr, was in mir vorgegangen ist, als wir Eldoret erreichten. Wir setzten June ab, sie wohnt zusammen mit ihrer Tochter in einem Haus, das sie von ihrem Großvater geerbt hat. Etwas befremdlich war die Größe all dieser Häuser dort. Große, zweigeschoßige Häuser und Bungalows gewöhnt, fand ich es fast übertrieben, diese Bauten "Häuser" zu nennen. Ein ganzes Haus war hier flächenmäßig ungefähr mit der Größe unseres Wohnzimmers zu vergleichen, und es erinnerte mich eher an eine Gartenhütte. Doch immerhin, die Häuser waren gemauert udn schienen eine feste Basis zu haben.
Dann erreichten wir das Haus, in dem sich die Wohnung meiner Gasteltern befindet. Es ist eine nette Wohngegend in einem Vorort von Eldoret, er heißt "Mwanzo".
Rundherum schießen die Häuser aus dem Boden, in der Zeit, in der ich bisher hier war, wurden zwei Wohnhäuser fertiggestellt.

Die Wohnung besteht aus einem Wohnzimmer, einer Küche und zwei Schlafzimmern mit jeweils einem Bad (Toilette und Duschkopf). Das klingt grundsätzlich ja gar nicht so schlecht, und zu Beginn war ich auch sehr erleichtert über meine doch ziemlich komfortable Wohnsituation. Dass alles etwas beengt war, störte mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Da mein Körper in jener dritten Woche jegliches Essen ziemlich unverzüglich nach dem Verzehr wieder verabschiedete, begab ich mich ohne Abendessen sofort ins Bett und schlief 14 Stunden durch. Am nächsten Tag fühlte ich mich jedoch nicht wirklich viel wacher, und meine Verdauungsprobleme zehrten zusätzlich an meinen Kräften.
Meine Gastmutter schien sehr nett zu sein, war jedoch um einiges reservierter als mein Gastvater, dessen überwältigende Liebe für seine neue Tochter oft viel zu viel war.
Die erste Woche waren meine Gastgeschwister bei ihren Großeltern in Kitale, einer Stadt westlich von Kenia, was mir Zeit bot, mich hier etwas einzugewöhnen.

Der erste Arbeitstag war vor allem eines: anstrengend. Ich war gesundheitlich nicht wirklich auf dem höchsten Stand und befand mich in einem Zustand der totalen Reizüberflutung. Alles war neu und anders und ungewohnt und alles überwältigte mich. Mein Kopf war ein einziges Bimmeln und Sausen, und ich versuchte, mich irgendwie in diesem Dröhnen einer neuen Welt zurechtzufinden.
An den ersten Tagen fiel mir noch der Geruch auf, den manche Kinder hatten. Sehr direkt gesagt, sie stinken. Das hat dann doch am Beginn dazu geführt, mich etwas zu ekeln, wenn sich die Kinder an mich gekuschelt haben. Am dritten Tag jedoch war das schon vergessen und mittlerweile fällt es mir überhaupt nicht mehr auf.
Das alles dominierende Gefühl dieser ersten Woche war Müdigkeit.
Ich konnte kaum einen Namen behalten und die Kinder sahen für mich alle gleich aus. Ich redete wenig und musste mich oft wirklich bemühen, nicht im Sitzen einzuschlafen. Eines der Mädchen im Rescue Centre, Winnie, war mir in dieser ersten Woche eine große Hilfe. Mit ihr konnte ich mich wortlos beschäftigen, und sie überschüttete mich mit einer Zuneigung, die mich fassungslos machte.
Ich war in dieser ersten Woche sehr nahe am Wasser gebaut und fühlte wegen der kleinsten Dinge die Tränen hochkommen.
  Samuel, einer der Straßenjungen im Projekt, nahm sich in dieser ersten Woche meiner an und zeigte mir die Umgebung des Projekts und die Satdt ein wenig. Grundsätzlich war jeder sehr hilfsbereit und ich fühlte mich sofort von den Kindern akzeptiert und angenommen. Auch mit den Mitarbeitern verstand ich mich eigentlich vom ersten Tag an gut.
Wessen ich mich nicht erwehren konnte, war eine misstrauische Grundhaltung gegenüber jedem Menschen, dem ich begegnete. Ich weiß nicht, warum ich dieses Verhalten an den Tag legte, war es Selbstschutz, oder wurde mir einfach zu oft eingebläut, vorsichtig zu sein. Es gab jedenfalls wenige Menschen, denen ich zu Beginn Vertrauen schenkte.

Montag, 21. Oktober 2013

Ankunft und sofortiges Überrolltwerden

Da ich ja jetzt doch schon einige Zeit hier verbracht habe, sehe ich viele Dinge mittlerweile anders, versuche aber dennoch, meine damaligen Eindrücke originalgetreu wiederzugeben.

Am 10. August also hat meine Reise begonnen. Nachdem ich Tags davor endgültig Abschied von meinen Freunden und den meisten Familienmitgliedern genommen hatte, war der große Tag gekommen, an dem ich in den Flieger steigen sollte, um mich auf einen anderen Kontinent, in ein anderes Land, in eine andere Kultur bringen zu lassen. Wirklich begriffen habe ich das nicht.
Also checkte ich mit einer mich plötzlich überkommenden Selbstverständlichkeit am Flughafen ein und wurde ganz ruhig. Zu ändern war ja jetzt sowieso nichts mehr.
Nach fast 24 sehr ermüdenden Stunden der Reise wurde ich dann in Nairobi in einem großen weißen Zelt als Terminal empfangen. Gemeinsam mit Vinzenz, dem anderen österreichischen ICYE-Volontär, und vielen vielen anderen Menschen kämpfte ich mich durch die Menge, füllte den Visumsantrag aus und suchte nach meinem Gepäck, das gemeinsam mit dem anderen irgendwo auf dem Gelände abgeladen worden war. Die Sorge, ob wir auch wirklich abgeholt werden würde, erwies sich als unbegründet, der Taxifahrer hatte die drei Stunden Verspätung geduldig abgewartet und brachte uns in die State House Girl's High School, in der wir die ersten beiden Wochen wohnen sollten. Das einzige, das ich während der Fahrt durch die Hauptstadt verspürte, waren bleierne Müdigkeit und Realitätsverlust. Im State House waren bereits die deutschen Volontäre eingetroffen. Ich war sehr froh über mein eigenes Zimmer, hatte ich doch sowieso schon genug damit zu tun, die ganzen neuen Eindrücke zu verarbeiten. Im Laufe der zwei Wochen entwickelte sich das Zimmer jedoch zu einem Treffpunkt für gemeinsame Uno-Spiele, was mir sehr recht war, da es eigentlich immer spaßig zuging.
Im Gesamten betrachtet vergingen die zwei Wochen dieses Vorbereitungscamp unheimlich schnell und waren sehr hilfreich dabei, Kontakte zu knüpfen.
Es wäre unnötig, den gesamten Ablauf dieser zwei Wochen niederzuschreiben, daher möchte ich nur bestimmte Ereignisse hervorheben, die mir selber als wichtig und erzählenswert erscheinen.

Da wäre als erstes der erste Besuch der Stadt selber und das damit einhergehende Überrolltwerden.
Die Frage, die mir als erstes in den Sinn kam, war "Wie kann das die Hauptstadt dieses Landes sein?".
Grund dafür war das Chaos, die unfertigen oder nicht vorhandenen  Gehsteige, die Unübersichtlichkeit, das Fehlen "richtiger" (also wie wir es in Österreich gewohnt sind) Geschäfte. Dafür eine wahnwitzige Verkehrssituation, in der Ampeln ignoriert werden, Spazieren direkt neben dem Highway, Verkaufsstände wie am Kirtag und ganz viele unfertige Bauten. Vier Wochen später sollte ich schon Nairobis "europäisches Flair" genießen.
Es war einfach alles anders, ganz ganz anders. Da traf Reichtum auf bittere Armut. Alle sprachen in einer mir völlig unbekannten Sprache. Mir fehlten meine gewohnten Austauschpartner, um diese Erlebnisse zu teilen, und hatte auch keine Möglichkeit, sie über das Internet zu erreichen. Hätte ich Nairobi damals in wenigen Worten beschreiben sollen, wären wohl Begriffe wie "laut", "durcheinander", "verwirrend", "unstrukturiert", "unsicher", "beängstigend" gefallen. 
An diesem Tag ergriff mich leichte Verzweiflung, da ich mir so gar nicht vorstellen konnte, hier ein ganzes Jahr zu verbringen. Ich wollte wieder eine U-Bahn, eine Straßenbahn, einen Linienbus. Mir fehlten die Kabel über meinem Kopf, mit denen die Öffis daheim verbunden sind. Alles war so staubig und schmutzig, und alles war so unheimlich anstrengend.
Ich hatte natürlich gewusst, dass es hier anders werden würde, aber mit dem Gedanken im Hinterkopf, mir das sowieso nicht vorstellen zu können, habe ich mich nie wirklich damit auseinandergesetzt. Und es ist doch noch einmal etwas vollkommen anderes, ob man als Beobachter so etwas ansieht, oder sich plötzlich inmitten des Ganzen wiederfindet und weiß, das ist jetzt Teil des neuen Lebens, zumindest für ein Jahr.

 Am 18. August fuhren wir nach Ngong, um in den Ngong Hills wandern zu gehen.
Das Wandern an sich war sehr schön, die Landschaft erinnerte mich etwas an Griechenland, aber wohl auch nur deshalb, weil ich permanent krampfhaft versuchte, Ähnlichkeiten mit mir Vertrautem zu finden.
Viel einprägsamer war an diesem Tag die Fahrt durch Ngong, die mir Nairobi plötzlich groß und sehr städtisch vorkommen ließ. Neben der Straße, auf der wir entlangfuhren, waren nur Hütten zu sehen. Kein einziges, stabiles Haus, so wie wir es von zu Hause gewohnt sind. Keine asphaltierte Straße. Überall nur diese "Standln", wie sie bei uns auf Märkten zu finden sind. Manch einer mag sich jetzt denken "Was hat sie denn erwartet?". Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass es eine komplett andere Sache ist, Bilder von solchen Dingen zu sehen, oder plötzlich alles hautnah mitzuerleben.
Jedenfalls ließ mich dieser Ausflug inständig hoffen, Eldoret möge größer und städtischer sein.

Das Vorbereitungscamp endete mit gemeinsamem Kochen und der Ankunft der Gasteltern, die uns am nächsten Tag mit in unsere eigentlichen Destinationen nehmen sollten.
Die ganzen zwei Wochen hatte ich diesen Tag herbeiegsehnt, an dem ich endlich "ganz" ankommen sollte, wollte lieber schon weiter, als noch in Nairobi zu sein. Nun, da der letzte Abend angebrochen war, verstand ich dieses Gefühl nicht mehr. An das State House hatte ich mich gewöhnt, und die Umgebung war schön und sicher, aber was mich in Eldoret erwartete, wusste ich ja gar nicht.