Donnerstag, 8. Mai 2014

Einfach alles weg


Manchmal hätt ich die größte Lust, einfach alles herzugeben und mit einer Kuh, zwei Schafen und zehn Hühnern auf eine Alm zu ziehen. Dort Gemüse zu pflanzen und in einer Holzhütte ohne Wasser und Strom zu leben. Weil, mal ehrlich, man braucht nicht mehr. Dann wäre ich einfach weit weg von der ganzen Scheiße, die hier läuft. Sind wir eigentlich noch zu retten? Was ist das Problem, wenn man sich vor seiner eigenen Spezies ekelt? Der Blick für das Wesentliche ist einem zu bedeutenden Teil unserer Gesellschaft abhanden gekommen. Menschen versinken in Luxusproblem-Krisen. Menschen sind selbstzentriert. Nein, das ist unfair von mir. Menschen nehmen sehr wohl Anteil am Leben anderer. Über Facebook zum Beispiel. Und wenn Ungerechtigkeiten passieren, kann man darauf zählen, dass sofort sehr viele Leute das wieder geradebiegen, wenn eine Frau redet, bevor sie denkt zum Beispiel. Da passiert ein Zusammenwirken von Leuten, die sich nicht einmal kennen, das ist so ergreifend, dass es mir eine Gänsehaut aufzieht. Über den ganzen Körper!!!  In einer überwältigenden Eigendynamik ballt sich der Hass Vieler zusammen und entlädt sich auf eine Person. Und das bei sehr wichtigen Themen. Dass die landeseigene  Musikbranche durch den Dreck gezogen wurde, das kann man natürlich nicht so stehen lassen. Ich bin ganz gerührt, wenn ich das sogar hier in Kenia mitbekomm, wieviel sich meine Landsleute um Andere kümmern, wieviel Anteil sie nehmen. So groß war meine Rührung, dass ich es nicht mehr ertragen konnte und mich jetzt erstmal dauerhaft von Facebook verabschiedet habe.

Und jetzt ernsthaft! Gibt es keine anderen Dinge im Leben? Muss ich mich echt über SO ETWAS aufregen, wo es so vielen Menschen auf dieser Welt so schlecht geht? Muss ich dazu beitragen, dass es einfach noch mehr Leuten mies geht, indem ich sie mit Dreck bewerfe? Wirklich?
Ich weiß, das trifft nicht auf alle Menschen zu. Ich habe 7000€ und fünf Sponsoren für  Schulkinder innerhalb von neun Monaten hier aufgetrieben. Und das war nicht mein Verdienst, sondern der meiner Familie in Österreich und von Freunden, die sich so unheimlich viel Mühe gemacht haben. Und dafür kann ich nicht oft genug Danke sagen. Und ich sollte die Charakterstärke besitzen, das zu sehen und nicht Shitstorms gegen irgendwelche Leute. Oder Posts die stolz mitteilen, letzten Abend 100€ für Alkohol rausgeworfen zu haben. 100€ ist ein Volksschuljahr in einer guten Schule für ein Kind hier in Kenia. Und in einer nicht so Guten kann ein Kind damit sogar vier Jahre zur Schule gehen. Gehen wir doch mal Shoppen für 300€ und kaufen uns noch mehr Gewand, das wir nicht brauchen. Damit haben wir dann in einem Tag ein Jahr Highschool auf den Kopf gehauen.

S c h ö n !

Ich habe mich bis jetzt vor solchen Texten gehütet. So „Die Welt ist schlecht und ihr dürft euch nix gönnen und überall verhungern Kinder“. Man soll sich nicht schlecht fühlen weil man in einer besseren Situation geboren wurde als andere. Man soll sich auch nicht schlecht fühlen, wenn man sich mal ein teures Kleidungsstück kauft, das einem richtig gut gefällt. Wenn man mal essen geht, oder ausgeht, oder sich verwöhnt. Das ist nicht falsch. Aber dieses ignorante, verschwenderische, kopflose Leben, das viele führen, da will ich kotzen. Direkt vor ihre Füße, direkt auf die sauteuren Markenschuhe auf die sie sich so viel einbilden. Ich weiß, dass das hier kein einziger Mensch lesen wird, der es lesen sollte. Weil die interessieren sich nicht für so etwas. Leben in ihrer eigenen kleinen Welt, ihr Leben kann furchtbar hart sein, vielleicht wurden sie verlassen oder haben sich mit den besten Freunden gestritten. Das ist natürlich ein sehr schwerer Schlag und das muss ich mit der breiten Öffentlichkeit teilen.

Und ich, ja, ich bin blöd genug, mir das immer wieder zu geben, mich einzuloggen in diesem „Sozialen Netzwerk“ (ist es denn wirklich sozial?) und mich gierig nach Tratsch durch die Neuigkeiten zu fressen, bis ich mich wieder überessen habe und mir einfach nur schlecht ist. Weil eine kleine Ausflucht in diese künstliche, aufgesetzte Welt, die Facebook geschaffen hat, tut manchmal gut nach den Erlebnissen, die ich hier machen darf. Weil ich hier ja auch abgekapselt lebe, und viele Sachen einfach ausblende, weil ein Leben sonst nicht möglich wäre. Ich kann Elend sehen, wie es schlimmer nicht geht, und es berührt mich nicht mehr. Das heißt nicht, dass ich kalt oder emotionslos bin. Ich kann immer noch bei traurigen Büchern oder Filmen heulen und ich fühle mit Anderen. Aber wie soll man sonst irgendwie glücklich sein? Ich blende Elend also aus und lasse es mich nicht zerstören, aber ich vergesse es nicht. Und das tun aber zu viele: vergessen. Ich sage nicht, dass jeder von uns ein Leben voll Traurigkeit führen soll und seine gesamte Energie in die Verbesserung der Welt stecken muss. Aber ab und zu mal nachdenken. Und vielleicht die 20€, die ich für ein weiteres Leiberl ausgegeben hätt, jemandem zugute kommen lassen, der es wirklich braucht. Das ist nicht viel für uns. Aber für viele Leute schon.

Ich selbst lebe ja auch ein absolut scheißprivilegiertes Leben. Mir hat es noch nie an etwas gefehlt und für meine Zukunft stehen mir alle Türen offen. Und es macht mich wütend, dass ich so ein Leben leben darf und andere nicht. Ich habe GELD dafür bezahlt (falsch, meine Eltern haben für mich bezahlt), ein Volontariat hier machen zu können, sprich unentgeltlich zu arbeiten. Ist das nicht paradox? Da hat jemand eine Goldgrube gefunden, Geld zu scheffeln mit den Reichen, die ihr Gewissen beruhigen wollen und sowas machen. Nein, falsch, ich bin nicht hierhergekommen, um mein Gewissen zu beruhigen. Ich weiß auch nicht genau, wieso ich hierhergekommen bin, aber es war die verdammt beste und richtungsführendste Entscheidung, die ich jemals hätte treffen können. Wer oder was auch immer diesen Gedanken in meinen Kopf gepflanzt hat, ich kann nur dankbar sein.
Meistens schäme ich mich hier für meinen Reichtum und mache mich ärmer als ich bin. In Keniaschilling bin ich Millionär. Und ich bekomme mehr Taschengeld als die Arbeiter im Rescue Centre Lohn.

Ich sollte einfach alles hergeben. Ich brauch das alles ja gar nicht. Es wäre ja nicht so, dass ich meinen Reichtum leben würde. Ich spare permanent und weiß nicht mal wofür. Aber alles herzugeben und frei zu sein, dafür bin ich zu feige. Weil ich brauch immer eine Hintertür. Und wenn ich jetzt alles hergebe, wem geb ich das und was geschieht mit dem Rest? Ich will doch noch mehr Menschen unterstützen können. Deshalb kann ich auch nicht auf einer Alm mit einer Kuh und zwei Schafen und zehn Hühnern leben. Weil dann kann ich gar keinem mehr helfen. Nur meinen Tieren. Obwohl das vielleicht auch ganz nett wär.

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