Manchmal hätt ich die größte Lust, einfach alles herzugeben
und mit einer Kuh, zwei Schafen und zehn Hühnern auf eine Alm zu ziehen. Dort
Gemüse zu pflanzen und in einer Holzhütte ohne Wasser und Strom zu leben. Weil,
mal ehrlich, man braucht nicht mehr. Dann wäre ich einfach weit weg von der
ganzen Scheiße, die hier läuft. Sind wir eigentlich noch zu retten? Was ist das
Problem, wenn man sich vor seiner eigenen Spezies ekelt? Der Blick für das
Wesentliche ist einem zu bedeutenden Teil unserer Gesellschaft abhanden
gekommen. Menschen versinken in Luxusproblem-Krisen. Menschen sind
selbstzentriert. Nein, das ist unfair von mir. Menschen nehmen sehr wohl Anteil
am Leben anderer. Über Facebook zum Beispiel. Und wenn Ungerechtigkeiten
passieren, kann man darauf zählen, dass sofort sehr viele Leute das wieder
geradebiegen, wenn eine Frau redet, bevor sie denkt zum Beispiel. Da passiert
ein Zusammenwirken von Leuten, die sich nicht einmal kennen, das ist so
ergreifend, dass es mir eine Gänsehaut aufzieht. Über den ganzen Körper!!! In einer überwältigenden Eigendynamik ballt
sich der Hass Vieler zusammen und entlädt sich auf eine Person. Und das bei
sehr wichtigen Themen. Dass die landeseigene
Musikbranche durch den Dreck gezogen wurde, das kann man natürlich nicht
so stehen lassen. Ich bin ganz gerührt, wenn ich das sogar hier in Kenia
mitbekomm, wieviel sich meine Landsleute um Andere kümmern, wieviel Anteil sie
nehmen. So groß war meine Rührung, dass ich es nicht mehr ertragen konnte und
mich jetzt erstmal dauerhaft von Facebook verabschiedet habe.
Und jetzt ernsthaft! Gibt es keine anderen Dinge im Leben?
Muss ich mich echt über SO ETWAS aufregen, wo es so vielen Menschen auf dieser
Welt so schlecht geht? Muss ich dazu beitragen, dass es einfach noch mehr
Leuten mies geht, indem ich sie mit Dreck bewerfe? Wirklich?
Ich weiß, das trifft nicht auf alle Menschen zu. Ich habe
7000€ und fünf Sponsoren für Schulkinder
innerhalb von neun Monaten hier aufgetrieben. Und das war nicht mein Verdienst,
sondern der meiner Familie in Österreich und von Freunden, die sich so
unheimlich viel Mühe gemacht haben. Und dafür kann ich nicht oft genug Danke
sagen. Und ich sollte die Charakterstärke besitzen, das zu sehen und nicht
Shitstorms gegen irgendwelche Leute. Oder Posts die stolz mitteilen, letzten
Abend 100€ für Alkohol rausgeworfen zu haben. 100€ ist ein Volksschuljahr in
einer guten Schule für ein Kind hier in Kenia. Und in einer nicht so Guten kann
ein Kind damit sogar vier Jahre zur Schule gehen. Gehen wir doch mal Shoppen
für 300€ und kaufen uns noch mehr Gewand, das wir nicht brauchen. Damit haben
wir dann in einem Tag ein Jahr Highschool auf den Kopf gehauen.
S c h ö n !
Ich habe mich bis jetzt vor solchen Texten gehütet. So „Die
Welt ist schlecht und ihr dürft euch nix gönnen und überall verhungern Kinder“.
Man soll sich nicht schlecht fühlen weil man in einer besseren Situation
geboren wurde als andere. Man soll sich auch nicht schlecht fühlen, wenn man
sich mal ein teures Kleidungsstück kauft, das einem richtig gut gefällt. Wenn
man mal essen geht, oder ausgeht, oder sich verwöhnt. Das ist nicht falsch.
Aber dieses ignorante, verschwenderische, kopflose Leben, das viele führen, da
will ich kotzen. Direkt vor ihre Füße, direkt auf die sauteuren Markenschuhe
auf die sie sich so viel einbilden. Ich weiß, dass das hier kein einziger
Mensch lesen wird, der es lesen sollte. Weil die interessieren sich nicht für
so etwas. Leben in ihrer eigenen kleinen Welt, ihr Leben kann furchtbar hart
sein, vielleicht wurden sie verlassen oder haben sich mit den besten Freunden
gestritten. Das ist natürlich ein sehr schwerer Schlag und das muss ich mit der
breiten Öffentlichkeit teilen.
Und ich, ja, ich bin blöd genug, mir das immer wieder zu geben, mich einzuloggen in diesem „Sozialen Netzwerk“ (ist es denn wirklich sozial?) und mich gierig nach Tratsch durch die Neuigkeiten zu fressen, bis ich mich wieder überessen habe und mir einfach nur schlecht ist. Weil eine kleine Ausflucht in diese künstliche, aufgesetzte Welt, die Facebook geschaffen hat, tut manchmal gut nach den Erlebnissen, die ich hier machen darf. Weil ich hier ja auch abgekapselt lebe, und viele Sachen einfach ausblende, weil ein Leben sonst nicht möglich wäre. Ich kann Elend sehen, wie es schlimmer nicht geht, und es berührt mich nicht mehr. Das heißt nicht, dass ich kalt oder emotionslos bin. Ich kann immer noch bei traurigen Büchern oder Filmen heulen und ich fühle mit Anderen. Aber wie soll man sonst irgendwie glücklich sein? Ich blende Elend also aus und lasse es mich nicht zerstören, aber ich vergesse es nicht. Und das tun aber zu viele: vergessen. Ich sage nicht, dass jeder von uns ein Leben voll Traurigkeit führen soll und seine gesamte Energie in die Verbesserung der Welt stecken muss. Aber ab und zu mal nachdenken. Und vielleicht die 20€, die ich für ein weiteres Leiberl ausgegeben hätt, jemandem zugute kommen lassen, der es wirklich braucht. Das ist nicht viel für uns. Aber für viele Leute schon.
Ich selbst lebe ja auch ein absolut scheißprivilegiertes
Leben. Mir hat es noch nie an etwas gefehlt und für meine Zukunft stehen mir
alle Türen offen. Und es macht mich wütend, dass ich so ein Leben leben darf
und andere nicht. Ich habe GELD dafür bezahlt (falsch, meine Eltern haben für
mich bezahlt), ein Volontariat hier machen zu können, sprich unentgeltlich zu
arbeiten. Ist das nicht paradox? Da hat jemand eine Goldgrube gefunden, Geld zu
scheffeln mit den Reichen, die ihr Gewissen beruhigen wollen und sowas machen.
Nein, falsch, ich bin nicht hierhergekommen, um mein Gewissen zu beruhigen. Ich
weiß auch nicht genau, wieso ich hierhergekommen bin, aber es war die verdammt
beste und richtungsführendste Entscheidung, die ich jemals hätte treffen
können. Wer oder was auch immer diesen Gedanken in meinen Kopf gepflanzt hat,
ich kann nur dankbar sein.
Meistens schäme ich mich hier für meinen Reichtum und mache mich ärmer als ich bin. In Keniaschilling bin ich Millionär. Und ich bekomme mehr Taschengeld als die Arbeiter im Rescue Centre Lohn.
Meistens schäme ich mich hier für meinen Reichtum und mache mich ärmer als ich bin. In Keniaschilling bin ich Millionär. Und ich bekomme mehr Taschengeld als die Arbeiter im Rescue Centre Lohn.
Ich sollte einfach alles hergeben. Ich brauch das alles ja
gar nicht. Es wäre ja nicht so, dass ich meinen Reichtum leben würde. Ich spare
permanent und weiß nicht mal wofür. Aber alles herzugeben und frei zu sein,
dafür bin ich zu feige. Weil ich brauch immer eine Hintertür. Und wenn ich
jetzt alles hergebe, wem geb ich das und was geschieht mit dem Rest? Ich will
doch noch mehr Menschen unterstützen können. Deshalb kann ich auch nicht auf
einer Alm mit einer Kuh und zwei Schafen und zehn Hühnern leben. Weil dann kann
ich gar keinem mehr helfen. Nur meinen Tieren. Obwohl das vielleicht auch ganz
nett wär.
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