Mittwoch, 26. März 2014

Welten

Nach einer Woche mieser Laune ging es wieder bergauf, und zwar steil. War es die Unterstützung, die ich immer und immer wieder von Österreich bekomme und das Vertrauen, das mir die Menschen schenken und das ich sehr schätze, oder die Tatsache, dass man manchmal lange warten muss, bis die Früchte seiner Arbeit sichtbar werden.

Mit Raph bin ich zum Kerio Valley gefahren, das nicht weit von Eldoret liegt und mit atemberaubender Schönheit prahlt. Das Great Rift Valley ist ein Graben, der sich durch ganz Ostafrika zieht und somit auch den Westen Kenias mit dieser klaffenden grünen Wunde ziert. Dieser Ausflug hat die Reiselust in mir wieder geweckt, und man muss gar nicht weit fahren, da Eldoret eigentlich ein idealer Ausgangsort für Reisen ist.

Wir haben im Centre einen neuen Jungen bekommen, der uns alle fordert. Er ist um die vier oder fünf Jahre alt und legt ein sehr eigenes Verhalten an den Tag. Ob das einer psychischen Störung obliegt und ob diese angeboren oder durch traumatisierende Erlebnisse aufgetreten ist, darüber wird gerade viel diskutiert. Der Name des Jungen ist nicht ganz sicher, da wir nicht wissen, ob wir ihn richtig verstehen.
Er ist intelligent und weiß, welches Verhalten angebracht ist und welches nicht. Er versteht sich nicht sehr gut mit den anderen Kindern und streunt am liebsten im Büro der Sozialarbeiter herum. Wenn man ihn dazu bringen will, irgendwohin zu gehen, beginnt er zu schreien, bekommt plötzlich fürchterliche Angst und läuft weg. Sobald man ihm seine Freiheit zu nehmen scheint, bekommt er Panik. Er kann nicht in die Vorschule, da er es nicht aushält, in diesem Raum zu bleiben. Sobald man ihn hineinbringt, beginnt er zu schreien, und er hört erst auf, wenn er wieder draußen. Schon zweimal hat er mich mit Steinen beworfen, als ich ihm etwas nicht gegeben habe, und er weiß selber sehr genau, dass das nicht richtig ist.
Er stellt uns vor ein Rätsel, da hier keiner dazu ausgebildet ist, sich mit Kindern mit speziellen Bedürfnissen zu befassen. Oftmals finde ich das Verhalten der Kollegen allerdings unangebracht, da ich nicht viel Sinn darin sehe, ein schon verängstigtes Kind mit Drohungen noch mehr zu verschrecken.
Aber was Kindererziehung, ob nun speziell oder nicht, betrifft, geht meine Meinung mit der einiger hier sowieso sehr auseinander.

Wie sehr ich mich hier wohlfühle macht mir manchmal fast Angst. Ich liebe es, durch die Nachbarschaft zu streifen und die Eindrücke aufzusaugen. Beim Chapati-Mann zu stoppen und ein Chapati für 10 Cent zu kaufen. Oder bei der Tip Top Dairy "das Übliche" für den Abend zu holen. Ein kurzer Tratsch mit der Gemüsefrau, nach deren Namen ich permanent zu fragen vergesse. In die verschiedenen Estates zu gehen ist wie von einer Welt in die nächste zu schlüpfen.
Mwanzo ist verwinkelt und mit vielen Wegen, Abkürzungen, Unabkürzungen, Sackgassen. Geht man seinen Weg, sieht alles verschlossen, abgewendet aus, doch dann plötzlich öffnet sich die Gasse zu einem kleinen Platz voller Leben. Durch einen fehlenden Ziegelstein oder ein Fenster in der Mauer blickt man in die Höfe der Häuserreihen. Eine Häuserreihe teilt sich in drei bis sieben Ein- oder Zweiraumwohnungen, und zwei dieser Reihen wenden sich einander zu. In dem Raum dazwischen hängt die Wäsche, spielen die Kinder, unterhalten sich die Mütter und Hausmädchen.
Von oben sieht Mwanzo ein wenig aus wie eine orientalische Stadt, nur ohne prunkvolle Moscheen. Man kann das Estate leicht von oben überblicken, da die meisten Häuser nur ein Erdgeschoss haben. Darauf Rauchfänge, Fernsehantennen und ein heilloses Stromkabelgewirr. Die sandige Farbe der Gebäude und der Staub komplettiert das Bild. Manchmal geh ich auch gerne in einen Innenhof und spähe in leerstehende Wohnungen. Und schon beginnen sich Möbel, die ich beim Schreiner nebenan kaufen würde, natürlich nicht ohne erbarmungslos gehandelt zu haben, selber an die richtigen Plätze zu schieben und ich erträume mir mein Leben in dieser kleinen Wohnung für 35€ pro Monat. Dann würd ich mir jeden Tag ein Chapati vom Chapati-Mann kaufen und die Tip Top Dairy wäre auch nicht weit entfernt. Vor der Haustüre würde ich die Kohle für meinen Jiko ausbreiten und in der Sonne trocknen, gleich daneben ein paar Blümchen pflanzen. Und wenn uns ein plötzlicher Schauer überrascht, würde die Nachbarin die Wäsche für mich abhängen. Von draußen würde ein "Hodi?" ertönen und mit einem "Karibu!" lüde ich den unangemeldeten Besuch in mein Haus ein.
Dann reißt mich ein Geräusch aus dem Tagtraum und ich mache mich aus dem Staub, denn Leute sehen mich schon seltsam an, was drückt sich ein Mzungu hier die Nase an einem Fenster platt?

Kamukunji ist arm. Sehr arm. Hier sind die Häuserreihen nicht aus Stein, sondern aus Lehm. Hier gehe ich nicht sehr oft alleine herum. Es ist unvergleichbar schmutziger als in Mwanzo und es stinkt. Aber man bekommt billiges Gemüse. Hier wird mir viel nachgerufen und ich treffe manchmal Straßenkinder, die mal im Rescue Centre waren und wieder weggelaufen sind. Die Armut ist allgegenwärtig. In Mwanzo hängt so manches Tor zu einem Hof schief in den Angeln, hier gibt es keine Tore. Das Abwasser würzt die Abendluft und während der Regenzeit ist ohne Gummistiefel nicht an Hinausgehen zu denken.

Huruma. Huruma wächst. Huruma hat Zeigelhäuser und Lehmhäuser. Mwanzo ist schon gedrängt und zusammengestoppelt, aber kann nicht mit der explosionsartigen Vergrößerung dieses Estates mithalten. Die Häuser ploppen irgendwie und irgendwo aus dem Boden. Hier gibt es einfach ALLES. Und Huruma ist günstig. Huruma hat ein Spital. Huruma hat eine große Primary School. Huruma ist sein eigenes kleines Städtchen für sich. Bewegt man sich immer weiter in das Estate hinein, wird das Leben elender, und der Gestank der Schweine, des Abwassers und des lokalen Gebräus treibt einem Tränen in die Augen und lässt den Kopf schwummrig werden. Die Häuser sind aus Lehm und Erde und oft abrissreif, dennoch werden sie von Menschen belebt. Dennoch mag ich Huruma. Es hat trotz allem diesen Lebensgeist in sich, es ist ständig in Bewegung.

Kidiwa ist geplant, hier stehen einzelne Häuser in Reih und Glied, keines hängt mit dem anderen zusammen. Zwischen den Häusern wächst Gras und alles ist geordnet. Ein Haus in Kidiwa oder U E zu bekommen, ist praktisch unmöglich. Die Besitzer wechseln nicht sehr oft, und wenn, dann bleibt das Haus doch zumindest in derselben Verwandtschaft. Es sind Orte zum Leben, aber die Orte selber sprühen nicht so vor Leben wie die oben beschriebenen. Das bunte Durcheinander wird durch System und Organisation ersetzt.

Damit beschließe ich diesen Eintrag, da die Blasen an meinen Händen zu brennen beginnen. An das Beackern der Felder werden sie sich wohl noch länger nicht gewöhnen. Schön, dass noch ein Haufen Arbeit vor uns liegt.

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