Nach
dem Ausflug nach Kitale begann ich am 2. September mit dem
Unterrichten. Meine Bitte, den Unterricht eine Woche, oder auch nur
einen Tag, zu begeleiten, wurde geflissentlich überhört und ich wurde
(wie es ja fast jeder Volontär erzählt) vor meine Klasse geschoben. Da
waren natürlich erst einmal nur Fragezeichen, die um meinen Kopf
schwirrten. Keiner hatte mir irgendeine Instruktion gegeben, und nun sollte ich machen, wofür man in Österreich drei Jahre studiert.
Ich
kann mich leider nicht mehr so genau erinnern, was ich in dieser ersten
Woche mit den Kindern gemacht habe, das Lehrbuch war damals mein
Wegweiser, und ich sah nach und nach den Wissensstand meiner Kinder. Das
brachte mich leicht zur Verzweiflung, da diese Kinder keinen vollständigen englischen Satz formulieren konnten.
Ich
war sehr unsicher und hatte keine Ahnung, ob ich das, was ich hier
mache, auch richtig so mache, ob ich diesen Kindern helfe, ob sie in
meinem Unterricht vielleicht sogar etwas verlernen, ob es nicht besser
wäre, sie jemand anderem zu geben. Ich sah plötzlich eine große
Verantwortung auf mich zukommen, mit der ich nicht so gut umgehen
konnte.
So
begann ich damit, ein paar Grundlagen in Struktur und Ordnung zu
bringen. Das Erfreuliche war, dass ich oft bemerkte, dass die Kinder
sich auch merkten, was ich mit ihnen im Unterricht durchnahm. Ich wollte
natürlich nicht unbeliebt sein und war zu Anfang viel zu nett und
locker im Unterricht.
Es
war schwierig, ich war aber auch heiß auf die Herausforderung und
bemerkte immer wieder, dass es nicht so verkehrt sein kann, was ich hier
treibe.
Das ist jetzt die Zusammenfassung, wie ich nach elf Wochen über meinen Start hier denke. Ich habe meine Arbeit von Beginn an als "erfüllend" beschrieben, und geliebt habe ich es auch sofort. Es hat mich mit sehr viel Zufriedenheit erfüllt und ich bin jeden Tag mit einem guten Gefühl nachhause gegangen. Die Resonanz der Kinder war überwältigend und ich war überrascht, wie schnell ich hier angenommen und wie herzlich ich willkomen geheißen wurde. Das hat mir sehr geholfen, mich hier sofort wohl zu fühlen.
Die damalige Euphorie kann ich leider nicht mehr in Worte verpacken, da ich jetzt weiß, wie viel besser es gehen kann.
Aus diesem Grund möchte ich hier einen Auszug aus einer E-Mail zitieren, die ich damals gesendet habe:
"Am Anfang war ich überfordert, es ist schwer, Struktur in
den Unterricht zu bringen, und ich war ein bisschen erschrocken über den
Wissensstand der Kinder. Nachdem aber schon Verbesserungen zu sehen sind, bin
ich guten Mutes. Die meisten Kinder haben außerdem den Willen zu lernen, ich
mach am Nachmittag extra-lessons in Mathematik, wenn die Kinder nicht zu müde
sind. Und dann setz ich mich zu den Kleinen und verbring die Zeit mit ihnen.
Sie sind so wahnsinnig lieb! Da sind Winnie und Shadi und Faith, da ist Evans,
und Anthony, und Brian, und Mjumbe. Winnie ist 7 Jahre alt und kommt auf mich
zuglaufen, sobald sie mich sieht, drückt sich an mich und lässt mich gar nicht
mehr los. Faith kommt ein, zwei Mal am Tag auf meinen Schoß und holt sich ihre
Kuscheleinheit. Evans ist ein vorlauter junger Herr, der im Endeffekt auch nur
nach Zuneigung sucht, und immer zusammenzuckt, wenn man die Hand zu schnell
hebt. Brian lacht nie, er ist erst seit Kurzem hier und behält Informationen
über seine Herkunft für sich. Die Social Workers haben grade alle Hände voll
damit zu tun, irgendwas aus ihm rauszukitzeln. Mjumbe ist 15 Jahre alt und wird
ab Jänner in die Schule gehen. Er kann unheimlich gut zeichnen und wird nicht
gerne berührt. Er hält allerdings sehr gerne meine Hand. Und dann sind da noch
150 andere Kinder, die ich kennenlernen darf!
Ich bin so glücklich, wenn ich mit ihnen zusammen bin. Diese Arbeit erfüllt mich. Und jeden Tag überkommt mich diese Überwältigung von Neuem.
Es
gibt immer mehr Tage, an denen ich wirklich glücklich bin hier. Meistens vor
allem, bevor ich nachhause komme. Meine
Geschwister hier sind 6 und 2 und nach einem ganzen Tag mit Kindern irrsinnig
ermüdend, vor allem der Kleine."
Schon
nach ein paar Tagen fand ich meine Wohnsituation beklemmend. Ich
schlief zu dritt mit meiner Gastschwester und dem Hausmädchen in einem
Stockbett, in einem Zimmer, das vielleicht 8m² groß war. Meine Koffer
auszupacken war undenkbar und ich hatte nie dieses Gefühl, richtig
anzukommen. Wenn ich nach acht bis zehn Stunden Arbeit nachhause kam,
hatte ich da diesen kleinen Jungen, der unablässig schrie und permanent
in seine Hosen machte. Und es kostete mich jedes Mal eine enorme
Überwindung, diese Hosen zu wechseln, vor allem, wenn er sein großes
Geschäft verrichtet hatte.
So war ich niemals alleine und hatte keinen Platz, um mal abzuschalten und zu entspannen.
Meine
Stimmung änderte sich rapide, war ich da noch himmelhoch jauchzend
konnte ich in der nächsten Minute zu Tode betrübt sein. Es war sehr
anstrengend. Und doch stelle ich fest, dass in diesen Moment doch noch
sehr viel positiver über meine Situation geschrieben habe, als ich jetzt
darüber denke. Ich hatte mich sehr erfolgreich selber davon überzeugt,
dass alles sehr gut war. Mein Projekt war ja auch, und ist noch immer,
der Wahnsinn. Ich fing an, jede mögliche Sekunde dort zu sein.
Mein
Zuhause war kein Ort für mich, zur Ruhe zu kommen, mein Gastbruder
saugte die letzte Energie des Tages aus mir und mein Gastvater war mir
nicht ganz geheuer.
An
Aufgeben war da aber noch nicht zu denken, Das war halt eine dieser
Herausforderungen, die zu meistern sind, sagte ich mir. Und ich war
nicht unglücklich. Ich hatte oft sehr glückliche Momente. Ich war viel
zu sehr in dieser Situation, als noch einen klaren Blick darauf zu
haben.
Als
ich nach drei Wochen in Eldoret sehr müde, sehr angestrengt, nicht ganz
gesund und total angespannt nach Nairobi fuhr, um Emma zu besuchen,
hatte ich das erste mal die Möglichkeit, einen Schritt zurückzutreten und das Bild aus etwas mehr Entfernung zu betrachten.
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