Montag, 21. Oktober 2013

Ankunft und sofortiges Überrolltwerden

Da ich ja jetzt doch schon einige Zeit hier verbracht habe, sehe ich viele Dinge mittlerweile anders, versuche aber dennoch, meine damaligen Eindrücke originalgetreu wiederzugeben.

Am 10. August also hat meine Reise begonnen. Nachdem ich Tags davor endgültig Abschied von meinen Freunden und den meisten Familienmitgliedern genommen hatte, war der große Tag gekommen, an dem ich in den Flieger steigen sollte, um mich auf einen anderen Kontinent, in ein anderes Land, in eine andere Kultur bringen zu lassen. Wirklich begriffen habe ich das nicht.
Also checkte ich mit einer mich plötzlich überkommenden Selbstverständlichkeit am Flughafen ein und wurde ganz ruhig. Zu ändern war ja jetzt sowieso nichts mehr.
Nach fast 24 sehr ermüdenden Stunden der Reise wurde ich dann in Nairobi in einem großen weißen Zelt als Terminal empfangen. Gemeinsam mit Vinzenz, dem anderen österreichischen ICYE-Volontär, und vielen vielen anderen Menschen kämpfte ich mich durch die Menge, füllte den Visumsantrag aus und suchte nach meinem Gepäck, das gemeinsam mit dem anderen irgendwo auf dem Gelände abgeladen worden war. Die Sorge, ob wir auch wirklich abgeholt werden würde, erwies sich als unbegründet, der Taxifahrer hatte die drei Stunden Verspätung geduldig abgewartet und brachte uns in die State House Girl's High School, in der wir die ersten beiden Wochen wohnen sollten. Das einzige, das ich während der Fahrt durch die Hauptstadt verspürte, waren bleierne Müdigkeit und Realitätsverlust. Im State House waren bereits die deutschen Volontäre eingetroffen. Ich war sehr froh über mein eigenes Zimmer, hatte ich doch sowieso schon genug damit zu tun, die ganzen neuen Eindrücke zu verarbeiten. Im Laufe der zwei Wochen entwickelte sich das Zimmer jedoch zu einem Treffpunkt für gemeinsame Uno-Spiele, was mir sehr recht war, da es eigentlich immer spaßig zuging.
Im Gesamten betrachtet vergingen die zwei Wochen dieses Vorbereitungscamp unheimlich schnell und waren sehr hilfreich dabei, Kontakte zu knüpfen.
Es wäre unnötig, den gesamten Ablauf dieser zwei Wochen niederzuschreiben, daher möchte ich nur bestimmte Ereignisse hervorheben, die mir selber als wichtig und erzählenswert erscheinen.

Da wäre als erstes der erste Besuch der Stadt selber und das damit einhergehende Überrolltwerden.
Die Frage, die mir als erstes in den Sinn kam, war "Wie kann das die Hauptstadt dieses Landes sein?".
Grund dafür war das Chaos, die unfertigen oder nicht vorhandenen  Gehsteige, die Unübersichtlichkeit, das Fehlen "richtiger" (also wie wir es in Österreich gewohnt sind) Geschäfte. Dafür eine wahnwitzige Verkehrssituation, in der Ampeln ignoriert werden, Spazieren direkt neben dem Highway, Verkaufsstände wie am Kirtag und ganz viele unfertige Bauten. Vier Wochen später sollte ich schon Nairobis "europäisches Flair" genießen.
Es war einfach alles anders, ganz ganz anders. Da traf Reichtum auf bittere Armut. Alle sprachen in einer mir völlig unbekannten Sprache. Mir fehlten meine gewohnten Austauschpartner, um diese Erlebnisse zu teilen, und hatte auch keine Möglichkeit, sie über das Internet zu erreichen. Hätte ich Nairobi damals in wenigen Worten beschreiben sollen, wären wohl Begriffe wie "laut", "durcheinander", "verwirrend", "unstrukturiert", "unsicher", "beängstigend" gefallen. 
An diesem Tag ergriff mich leichte Verzweiflung, da ich mir so gar nicht vorstellen konnte, hier ein ganzes Jahr zu verbringen. Ich wollte wieder eine U-Bahn, eine Straßenbahn, einen Linienbus. Mir fehlten die Kabel über meinem Kopf, mit denen die Öffis daheim verbunden sind. Alles war so staubig und schmutzig, und alles war so unheimlich anstrengend.
Ich hatte natürlich gewusst, dass es hier anders werden würde, aber mit dem Gedanken im Hinterkopf, mir das sowieso nicht vorstellen zu können, habe ich mich nie wirklich damit auseinandergesetzt. Und es ist doch noch einmal etwas vollkommen anderes, ob man als Beobachter so etwas ansieht, oder sich plötzlich inmitten des Ganzen wiederfindet und weiß, das ist jetzt Teil des neuen Lebens, zumindest für ein Jahr.

 Am 18. August fuhren wir nach Ngong, um in den Ngong Hills wandern zu gehen.
Das Wandern an sich war sehr schön, die Landschaft erinnerte mich etwas an Griechenland, aber wohl auch nur deshalb, weil ich permanent krampfhaft versuchte, Ähnlichkeiten mit mir Vertrautem zu finden.
Viel einprägsamer war an diesem Tag die Fahrt durch Ngong, die mir Nairobi plötzlich groß und sehr städtisch vorkommen ließ. Neben der Straße, auf der wir entlangfuhren, waren nur Hütten zu sehen. Kein einziges, stabiles Haus, so wie wir es von zu Hause gewohnt sind. Keine asphaltierte Straße. Überall nur diese "Standln", wie sie bei uns auf Märkten zu finden sind. Manch einer mag sich jetzt denken "Was hat sie denn erwartet?". Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass es eine komplett andere Sache ist, Bilder von solchen Dingen zu sehen, oder plötzlich alles hautnah mitzuerleben.
Jedenfalls ließ mich dieser Ausflug inständig hoffen, Eldoret möge größer und städtischer sein.

Das Vorbereitungscamp endete mit gemeinsamem Kochen und der Ankunft der Gasteltern, die uns am nächsten Tag mit in unsere eigentlichen Destinationen nehmen sollten.
Die ganzen zwei Wochen hatte ich diesen Tag herbeiegsehnt, an dem ich endlich "ganz" ankommen sollte, wollte lieber schon weiter, als noch in Nairobi zu sein. Nun, da der letzte Abend angebrochen war, verstand ich dieses Gefühl nicht mehr. An das State House hatte ich mich gewöhnt, und die Umgebung war schön und sicher, aber was mich in Eldoret erwartete, wusste ich ja gar nicht.

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