Samstag, 16. November 2013

Ein Spaziergang in die Stadt

Den Weg in die Stadt zu Fuß zurückzulegen, dauert ungefähr 20 Minuten. Ich verlasse das Rescue Centre und suche den schlammfreiesten Weg über die unbefestigte Straße, den ich finden kann, vorbei an einer Kirche aus Wellblech, die dort innerhalb von drei Tagen fast dirket vor das Tor des Rescue Centre gepflanzt wurde. Nun kann ich an den Wochenenden nachts die Wachten hören, die Freitag- und Samstagabend beginnen und bis am nächsten Morgen dauern, ein eher zweifelhaftes Vergnügen. Ich überquere die Gleise, deren Zustand nicht vermuten ließe, dass sie noch befahren werden, trotzdem muss man machmal warten und die nach Rauch stinkende fette Raupe vorbeiziehen lassen, die drei- bis viermal am Tagträger vorüberrollt. Der Zug fährt so langsam, dass ich jedes Mal, wenn sie passieren sehe, Lust habe, einfach aufzuspringen und mitzufahren, nur ein kleines Stückchen, ich bin dann aber doch immer zu feige.
Die Luft ist erfüllt von fernem Hämmern und Schlagen, dem Brummen laufender Motoren, dem Blöken von Schafen und dem Muhen von Kühen. Der Duft nach dem zwischen den am Straßenrand wachsenden Büschen wuchernden Kraut und dem Gras wird vom Geruch nach Biomüll, Kuhdung und Urin durchzogen, inhaliert man im einem Moment noch die gute Luft, verschlägt es einem im anderen Moment den Atem.
Über die nach Regen mit Wasser gefüllten Schlaglöcher hüpfend erreiche ich schnell die teilweise asphaltierte Straße, und ich nähere mich einer Art Komplex (die afrikanische Version!), in dem man sowohl Wohnungen als auch Shops findet. Dieser Platz heißt  "Chicago" und wenn man will, kann man hier fast alles kriegen, was man zum Leben braucht. Es gibt drei Schneider, drei Mini-Shops, einen Laden, der Milch und Eier verkauft, einen Metzger, einen Mechaniker, zwei Frisöre und ein Hotel (die Kenianer sagen zu jedem Platz, an dem man essen kann, "Hotel"). Außerdem bieten an der Straße viele Verkäufer Gemüse und Obst an, hauptsächlich Tomaten, Zwiebeln, Avocados, Sukumawiki, Managu, Kunde, Seveve, Kartoffeln, Mangos und Bananen. Sukumawiki, Managu, Kunde und Seveve sind alles Grüngemüse, ähnlich Spinat oder Mangold, das mit Zwiebeln und Tomaten angebraten und gedünstet und gemeinsam mit Ugali gegessen wird. Ich liebe all dieses Grünzeug heiß. Leute, die ich nicht kennen, rufen meinen Namen und grüßen mich. Ich grüße zurück und wundere mich.
Stimmengewirr, das Surren der Nähmaschinen, das Aneinanderschlagen der Töpfe, das Brutzeln der Kartoffeln im heißen Fett und das Knacken der Maiskolben über dem Feuer begleitet mich bis zu der Kurve, an der die Matatus von Mwanzo angerast kommen und Richtung Stadt fahren. Ich gehe und sauge die Welt in mich auf. In Chicago sind die Menschen schon an mich gewöhnt und wissen, dass ich es hasse, "Mzungu" genannt zu werden.
Nun betrete ich den Trampelpfad und gehe durch die Wiese vorbei an Häuserreihen, um zum West-Market zu gelangen, den ich durchquere, um in die Stadt zu kommen. Ich erreiche ein Straße, eine gute Straße, die Freitags voll ist mit Menschen, da das der Markttag ist. Kinder rufen selbt von weit "Mzungu, how are you?" und ich rufe zurück "Fine.", und sie kichern und freuen sich. Ich habe weniger Probleme damit, von Kindern "Mzungu" genannt zu werden.
An Freitagen kann man am West-Market alles kaufen. Kleidung, Bettwäsche, Unterwäsche, Fisch, Fleisch, Gemüse, Obst, Schuhe, Elektrogeräte, Töpfe, Geschirr, Besteck, alles eben. Die Menschen nehmen den Weg sogar von Nairobi auf sich, um auf diesem Markt ihre Ware anbieten und um den Preis feilschen zu können. Vor allem als Weißer braucht man Zeit und gute Laune, um hier etwas zu kaufen, da die Hautfarbe den Preis oft verzehnfacht und man lange Diskutieren muss, um nicht über den Tisch gezogen zu werden. Der Geruch nach Fisch wechselt sich mit Abgasen, Frittierfett und Müll ab, von überall hört man die Rufe der Verkäufer, "Mia moja, mia moja", "Mia mbili, mia mbili", "Tu hamsini leo, tu hamsini" (das sind die Preise "100, 100", "200, 200", "Heute nur 50, nur 50"), und ich werde von "Gsssss, gsssss, Madame, Mzungu, Hey, How are you" verfolgt, die Leute versuchen, meine Aufmerksamkeit zu wecken. Mittlerweile höre ich gar nicht mehr hin und ignoriere all die Laute um mich herum.
Links und rechts am Straßenrand sind die ganzen Stände aufgebaut, und in der Mitte hunderte Menschen, ein Durchkommen ist oft schwer. Verkäufer schieben ihre Wägelchen durch die Menge und bieten Zuckerrohr, Orangen, Bananen und Mangos an.
Ich habe meine Tasche immer vorne und eine Hand darauf. Die Leute haben begonnen, Taschen und Rucksäcke mit Rasierklingen aufzuschneiden und dann auszuräumen. Mir ist noch nie etwas Derartiges passiert, aber da selbst meine kenianischen Freunde immer wieder bestohlen werden, bin ich sehr vorsichtig. Immer wieder kann man den Geruch von Marihuana ganz deutlich erschnuppern, und ich frage mich, woher er wohl kommen mag, da ich niemanden rauchen sehe. Gras ist hier extrem billig und wächst in manchen Gegenden wie jedes andere Kraut einfach am Straßenrand. Es gibt immer wieder das Bestreben, es zu legalisieren, im Endeffekt ist es aber egal, da es keinen juckt, wenn man kifft. Gras, Kleber, Miraa und selbstgebrauter Alkohol. Es gibt viele Arten hier, sich zu betäuben oder aufzuputschen und sich der Illusion hinzugeben, so der Armut zumindest für ein paar Stunden entfliehen zu können.
Gerade in der Stadt sieht man heruntergekommene Menschen, eine Flasche mit dem gelblichen Kleber unter die Nase pressend und mit geschlossenen Augen tief einatmend. Wie sie diese stinkende Flüssigkeit so nahe an die Nase halten können, ist mir ein Rätsel.
Miraa (zu Deutsch Kath) wird gekaut. Es sind Blätter des Kathstrauches, die angeblich sehr bitter schmecken sollen. Die Blätter werden oft zusammen mit Kautabak konsumiert. Man braucht viel Wasser oder Saft, da Miraa dem Mund die ganze Flüssigkeit entzieht. Es ist keine harte Droge, die Wirkung ist vergleichbar mit Koffein, oft wird es auch gekaut, da es Hungergefühl unterdrückt. Zu viele Blätter allerdings führen zu Benommenheit und Müdigkeit, oder sogar Vergiftungen, die Magenkrämpfe und Erbrechen zur Folge haben.
Der selbstgebraute Alkohol ist ein ziemlich großes Problem hier. Er ist sehr billig und versetzt den Trinker sehr schnell in einen Rauschzustand. Dass dieser Alkohol sehr große Schäden im Körper anrichtet, ist naheliegend. Ich habe diesen Alkohol selber noch nicht probiert und es ist jetzt auch keines meiner Ziele. Ich habe allerdings einen Vodka probiert, der 100 Bob gekostet hat für die Flasche, und er schmeckte wie Nagellackentferner. Zu sehen, welch große Probleme die ganzen Rauschmittel hier im Land machen, und in welche Armut die Sucht ganze Familien stürzen kann, hat mir die Lust am Alkohol aber auch gänzlich genommen.

Ich erreiche wieder die Straße, auf der ich schon zu Beginn gegangen bin, deren Kurve ich aber durch den West-Market abgekürzt habe, und bin nun schon fast am Highway angelangt, auf dem man auf direktem Wege von Nairobi nach Uganda gelangen kann.
Gerade an schwülen und warmen Tagen wird es ab jetzt anstrengend. Die Abgase der Auto stinken unheimlich und verursache Kopfschmerzen, es ist laut, ständig wird gehupt, die Straßen und Gehsteige sind voll voll voll. Den Highway zu überqueren ist ein spannendes Unterfangen, weil es einem Schlängeln durch fahrende Autos gleicht, es gibt zwar einen Zebrastreifen (einen!), aber der ist auch jedem egal.
Ist es trocken und windig, hat man ständig Staub in den Augen, und trägt man keine geschlossenen Schuhe, bemerkt man die furchtbar dreckigen Füße, sobald man wieder zuhause ist. Die Stadt ist in ständiger Bewegung, es herrscht geschäftiges Treiben. Ich gehe hinter Menschen und es ist nicht genug Platz, sie zu überholen, und ich verliere langsam die Geduld, weil ich diesen gemächlichen Gang, mit dem sich die Leute langsam vorwärts bewegen, überhaupt nicht mag. Bin ich mit Kenianern unterwegs, laufe ich ihnen nicht selten davon. Auf den Gehsteigen kann man den Kleber zum Schnüffeln kaufen, und den selbstgebrauten Alkohol, an ausgewählten Stellen ist auch das Miraa erhältlich. Überall wird einem angeboten, die Schuhe putzen zu lassen. Ich bewege mich entlang des Highways, um dann in eine Seitengasse anzubiegen. Hier ist es plötzlich viel weniger laut, und es brauchte lange, bis ich mich hier nicht mehr unwohl gefühlt habe. Die Gassen sind eng und es herrscht nicht dieses Treiben, es verschlägt weniger Menschen hierher. Man findet die Hotels (Imbisse und Cafés) an den unerwartetsten Stellen. Die Shops, die es hier gibt, wollte ich anfangs ein wenig aus Sturheit nicht als Geschäfte bezeichnen, da es einfach keine Geschäfte sind, wie sie es in Österreich gibt. Aber man kann hier Dinge viel günstiger bekommen als in den Supermärkten, und ich habe auch das Gefühl, damit die Bevölkerung mehr zu unterstützen, als wenn ich in einer großen Supermarktkette einkaufen gehe. Nachdem ich mich also durch mehrere enge Gässchen gestohlen habe, erreiche ich schlussendlich mein Ziel.

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