Sonntag, 10. November 2013

Migori

Am 3. Oktober fuhr ich nach Mirgori, um Finn, einen Volontär aus Deutschland, zu besuchen. Der Weg führte mich durch das Great Rift Valley über Kisii, wo ich umsteigen musste, bis ich nach sechs Stunden schlußendlich in Migori ankam.
Die Fahrt war durchaus interessant und bot einen atemberaubenden Blick auf den großen Ostafrikanischen Grabenbruch, der ganz Kenia von Nord nach Süd durchzieht. So führte mich die Reise vorbei an sanften, grünen Hügeln mit unheimlich viel Grün und den typischen kleinen Strohhütten , schroffen Felswänden, riesigen Reisfeldern und noch größeren Teeplantagen, die den in jedem kenianischen Haushalt verfügbaren Schwarztee liefern. Denkt man an Afrika, hat man doch eher trockene, staubige Straßen mit dürrer Vegetation im Kopf, und keine saftig bewachsenen grünen Hügel mit Palmen und einer Vielzahl an anderen Bäumen. Hätte mir jemand Bilder vom Rift Valley gezeigt, und gesagt, das wäre wo in Südamerika, hätte ich es aufs Wort geglaubt.
Kenia hat so viele verschiedene Gesichter. Kenia kann trocken und menschenfeindlich, humid und fruchtbar sein. Kenia kann verdreckte Slums mit meterhohen Müllhaufen und grausigem Elend, oder saubere, strukturierte, eier westlichen Großstadt in nichts nachkommende Reichenviertel in Nairobi heißen. Kenia ist eine Nation und doch so zerrissen durch die Vielzahl an verschiedenen Stämmen, die sich immer wieder bekriegen. Kenia ist totale Gläubigkeit, Keuschheit und jeden Sonntag fünf Stunden in der Kircher verbringen, Kenia ist Kinderprostitution und häusliche Gewalt, Vergewaltigung der eigenen Kinder oder unschuldiger junger Frauen auf dem Nachhauseweg. Kenia ist kein Sex vor der Ehe und haufenweise Mütter im Teenageralter.

Ich selber wohne nahe dem Vergnügungsviertel Eldorets, wo sich Männer am Abend mit dem selbstgebrauten Fusel betrinken um dann für zwischen 50Cent und 5Euro mit einer Prostituierten auf mit Kartons ausgelegten Böden in heruntergekommenen Hütten ein leidenschaftsloses Geschäft abzuwickeln, von dem sie Befriedigung zu erlangen glauben. Das passiert natürlich meist ohne Kondom, da dieses nur stört. "Using a condom just makes it less sweet.", so wurde mir das von einem jungen Mann erklärt, den ich darauf angesprochen habe. Die Aktion des Chief Residents, jeden Abend eine Box Kondome im Zentrum des Viertels zu platzieren, scheint dennoch zumindest einen geringen Einfluss zu haben, denn jeden Morgen ist diese Box leer.

Aber nun bin ich sehr weit vom eigentlichen Thema abgeschweift. Migori also.
Auf der Fahrt nach Mirgori hatte ich eine sehr nette Unterhaltung mit einer jungen Frau namens Kate, und was mit am meisten an ihr gefallne hat, war die Tatsache, dass sie, als wir uns verabschiedet haben, gar nicht nach meiner Nummer gefragt hat, was hier sonst immer jeder sofort tut.
Am Donnerstag traf ich Finn und Lukas, ich war froh, aus Eldoret und der bedrückenden Umgebung draußen zu sein. Finn arbeitet in einem Waisenheim und teilte sich zum Zeitpunkt meines Besuchs eine kleine -man könnte es fast Wohnung nennen- mit einer Volontärin, die im Jänner ihr Jahr vorüber hat. Ich hab mich etwas leidgesehen an der Wohnsituation, habe aber auch einfach die Tage, die ich dort war, genossen. Und ich wurde generell immer besser darin, mich ehrlich und aufrichtig und zu 100% für anderer Menschen Glück zu freuen, auch wenn es mir selber vielleicht nicht so gut ging. Hatte mir daheim vielleicht doch immer der Neid einen kleinen heißen Stich versetzt, wenn jemand etwas hatte, was ich mir selber so sehr wünschte, war er hier plötzlich verschwunden oder trübte zumindest nicht die Freude für jemand anderen.
Die Tage waren sehr nett und ich genoss sowohl Migori als auch Stella, das Dorf, in dem Finn lebt. Es ist sehr grün dort, wie Eldoret auch, aber irgendwie anders. Es ist hügeliger und es gibt mehr Wald. Eldoret soll vor 50 Jahren auch noch fast ausschließlich Wald gewesen sein, den Erzählungen der Köchin im Rescue Centre zufolge, was kaum vorstellbar ist. Mittlerweile würde ich Eldoret als Industriestadt bezeichnen.
Die Spannung, die mich irgendwie noch zusammenhielt, zeichnete sich wohl in meinem Gesicht, und ich konnte die menschen, die ich traf, das ganze Wochenende über nicht überzeugen, dass es mir gefiel.
In Migori fuhr ich das erste Mal zu viert (Fahrer plus drei Passagiere) mit einem Pikipiki (Motorrad), da wurde mir bei den kleinen Erhebungen, die hier überall auf den Straßen sind, um die Autos zu zwingen, langsamer zu fahren, schon etwas mulmig zumute.
Der Gedanke, auszuziehen aus meiner Gastfamilie, würde immer drängender und klopfte mir pausenlos gegen die Stirn. Ich beschloss, nun wirklich etwas zu unternehmen.

Die Heimfahrt war sehr abenteuerlich, ich erwischte ein Matatu anstelle eines Shuttles, was soviel heißt wie man bleibt alle 10 Minuten stehen, um neue Leute auf der Straße aufzupicken. So waren wir am passagiermäßigen Höhepunkt 26 Leute in einem Kleinbus für 14 Personen. Die zwei Platten, die wir dann noch hatten, machten die eigentlich sechsstündige Heimfahrt zu einer neunstündigen Odyssee, die mich wohl sehr genervt hätte, wäre ich schlecht gelaunt gewesen. So aber genoss ich mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht die Eigenheiten und Charakteristika des afrikanischen Lebens.

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