Dienstag, 12. November 2013

Zu Tode betrübt und himmelhoch jauchzend

Am Dienstag, 22. Oktober, brach plötzlich alles zusammen. Die Spannung, die mich fest zusammengehalten hatte, fiel ab, und ich zerfloss zu einer Pfütze. Auslöser war einerseits besonders schlimmer Bericht über ein Kind hier, den ich geschrieben hatte, und das plötzliche Auftauchen der Akteure in diesem Bericht, die das Geschehene real machten, und andererseits ein Riesenkrach zwischen zwei meiner Kollegen.
Ich konnte mich irgendwie durch den Nachmittag kämpfen, aber als ich am Abend die Haustür hinter mir geschlossen hatte, überwältigte mich eine Flut aufgestauter Gefühle, und ich ergab mich widerstandslos ihrer Wucht.
Auch am nächsten Tag ging es mir nicht viel besser, meine Kollegen dachten, ich sähe meiner Erkältung wegen so schrecklich aus und wollten mich ins Krankenhaus bringen. Das kam mir sehr gelegen, da ich ihnen so nichts erklären musste. Alleine Mercy schien zu bemerken, was wirklich los war, als sie den Kopf neben mich auf den Tisch legte, und sagte, ich sollte doch nachhause gehen und meine Augen ausrasten. Diesem Rat folgte ich und verbrachte den restlichen Mittwoch im Bett.

Als ich am nächsten Morgen nach 17 Stunden traumlosen Schlafes aufwachte, fühlte ich mich seltsam leer und leicht. Eine Erleichterung erfüllte meinen Körper und ein Lachen aus meinem Inneren rüttelte an meinem Brustkorb. Es war, als hätte sich in den zwei vergangenen Tagen sämtlicher Schmutz aus meinem Körper gewaschen. Es war ein komisches Gefühl, das ich noch nicht so zuordnen konnte.
Dann betrat ich das Social Workers Office und plötzlich überkam mich dieses Glücksgefühl, nicht dieses berauschende, übermannende, sondern jenes, welches sich langsam von der Mitte des Bauches ausbreitet und in den ganzen Körper gelangt, ihn ausfüllt und prickeln lässt. Dieses zufriedene, ruhige, etwas verhaltene und weniger dramatische Glücksgefühl, das sich auf längere Zeit einnisten will und nicht wie ein Sturm durch das Herz fegt, um es durcheinander zurückzulassen.
Ich war glücklich, und ich war da.
Ich war da, wo ich war, und zwar zu hundert Prozent.
Dieses Gefühl habe ich nun seit exakt vier Wochen und ich fühle mich ein wenig wie der kleine fette Buddha an meinem Hals. Es ist sehr schön. Ich erlebe mich hier sehr viel ausgeglichener als zuhause.
Und plötzlich konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, hier jemals wieder wegzugehen. Doch mehr als ich selbst bemerkte jeder in meiner Umgebung meinen Wandel. Ich hatte plötzlich meine Angst vor kenianischen männlichen Wesen abgelegt und bekam auch zu den alten Straßen"kindern" einen Draht. Meine Schüler schienen sich auf wundersame Art und Weise gewandelt zu haben, und zum ersten Mal sah ich sehr deutlich die Früchte meiner Arbeit. Hatten am Beginn drei von elf Kindern meine Tests bestanden, waren es nun nur mehr drei, die sie nicht bestanden. Und auch das Schüler-lehrer-Verhältnis hatte sich so weit stabilisiert, dass ich weit nicht mehr so streng sein musste. Ich genoss (und genieße) es, hier zu sein.

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