Mittwoch, 27. November 2013

Ohnmacht

Nach Emmas Besuch drohte der Frieden im Rescue Centre plötzlich zu kippen. Erfolgreich ignorierte Anzeichen erhielten nun ihre Bestätigung. Schon am Montag, da ich Emma verabschiedete, fand ich auf der Wiese vor dem Eingang zum Schulgelände ein Matatu voll mit Kindern, die alle zurück nach Hause gebracht werden sollten. Ich war erstmal geschockt, bei der morgendlichen Parade dann eröffnete Margaret den Kindern, dass sie ab heute mit dem Heimfahren rechnen müssten. Danach hielt Mercy eine Ansprache, dass die Kinder hier ihre Zeit nicht verschwenden sollten, dass es das nächste Jahr keine reguläre Schule mehr gäbe und dass zuhause immer noch der beste Ort sei. Ich musste mich sehr anstrengen, nicht mitzuheulen mit den Kindern. Ich floh stattdessen zurück ins Haus, um meinen Gefühlen dort freien Lauf zu lassen. Emma stand mir mit heißem Tee und beruhigenden Worten zur Seite. Den Vormittag verbrachte ich mit Emma, am Nachmittag war ich dann wieder bei den Kindern und hatte alle Hände voll zu tun damit, herauszufinden, warum das jetzt alles plötzlich passierte, und den Kindern zu erklären, dass man sie hier nicht wegschickte, weil man sie nicht mehr haben wollte. Das war vo allem für jene unter ihnen, die jahrelang hier gelebt hatten, sehr schwierig zu begreifen.

Die Lage war folgende:
Das Rescue Centre wurde vom DCO, dem "District Children's Office", gegründet und ist eine staatliche Einrichtung. Demnach muss das Management des Rescue Centres Befehlen von oben umgehend Folge leisten. Viele Kinder, die hier leben, haben Verwandte, die ihre Verantwortung einfach beim Rescue Centre abgeladen haben (ob die Kinder es allerdings zuhause besser haben als hier, sei dahingestellt). Das DCO hat in den letzten Wochen die Straßen "gesäubert" und alles Minderjährige, das dort gefunden wurde, eingesammelt, also wollten sie Platz und forderten die sofortige Repatriierung sämtlicher Kinder, die nicht unbedingt hier bleiben müssen.

Zu Anfang machte sich das DCO selbst daran, diese Kinder nachhause zu bringen (das heißt, sie haben sie in ihre alte Nachbarschaft gefahren und mit der Anweisung, nachhause zu gehen, irgendwo abgesetzt). Die Kinder mussten teilweise den ganzen Tag vor verschlossener Türe warte, nur um am Abend verwunderten Tanten, Onkeln, Geschwistern, Großeltern zu erklären, was sie selber nicht verstanden. So fanden sich an den nächsten Tagen verwirrte Eltern mit Kindern im Centre ein.

Ich hatte mich emotional so sehr auf die Kinder eingelassen, dass ich einfach nur das Gefühl hatte, mir würden meine Kinder weggenommen, am Dienstag konnte ich meine Verzweiflung vor den anderen nicht  mehr geheimhalten und Irene brachte mich mit zu besorgten Fragen dann dazu, vor ihr in Tränen auszubrechen. Ich hatte das Gefühl, etwas sehr schreckliches gehe hier vor sich, und ich konnte nichts weiter tun als zuzusehen. Das tat weh, es machte mich wütend, hilflos, verzweifelt.

Dass ich am Wochenende dann nach Nairobi musste, um mein Visum zu verlängern, passte mir gar nicht, ich hatte das Gefühl, viel zu viel ungeregelt liegenzulassen.

Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt, die Sozialarbeiter bringen die Kinder selber heim, sie werden vorbereitet, es wird ihnen erklärt, es läuft friedlich und mit Akzeptanz ab. Auch ich habe die Gründe verstanden und mich wieder ein wenig distanziert - in meinem Kopf. Ich habe mein Verhalten deshalb nicht geändert und habe einen ebenso herzlichen, familiären Umgang mit meinen Kindern, wie zuvor, aber ich weiß, dass ich sie nicht für immer haben werde. Ich habe gelernt, loszulassen.

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